Mannheimer Aufbruch in Hannover
19. Sep 2012
Das Leitwort des Mannheimer Katholikentages aus dem Mai diesen Jahres, Einen neuen Aufbruch wagen, schien am Initiator des Gesprächsprozesses, der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), vorbeigegangen zu sein.Als Beobachter konnte man seinerzeit den Eindruck gewinnen, die Einladenden zum fünfjährigen Gesprächsprozess Im Heute glauben hätte dort der Mut verlassen, der sie zum Auftakt dieses Prozesses ein Jahr zuvor an gleichem Ort noch so ausgezeichnet hatte. Manch einer der 300 Teilnehmenden, der sich zur zweiten Veranstaltung dieser Art im September nach Hannover auf den Weg gemacht hatte, fuhr mit einer gehörigen Portion Skepsis dorthin. Sollte der verheißungsvolle Auftakt der Gespräche mit der DBK schon auf der zweiten Etappe ins Stocken geraten?
Wieder war ein breites Spektrum der katholischen Kirche von der Bischofskonferenz zum Gespräch eingeladen. Männer und Frauen aus Pfarreien, Verbänden, Orden, kirchlichen Berufsgruppen, Hochschulen, Werken und Geistlichen Gemeinschaften waren gekommen, um mit den Bischöfen über das Leitwort Die Zivilisation der Liebe unsere Verantwortung in der freien Gesellschaft zu sprechen.
Was sie zum Auftakt der Veranstaltung in den Kurzreferaten der drei für den Gesprächsprozess verantwortlichen Bischöfe, Overbeck, Bode und Kardinal Marx zu hören bekamen, ließ aufhorchen. Der Essener Bischof Franz Josef Overbeck sieht in der Vielfalt der heutigen Gesellschaft eine Bereicherung für die Kirche, spricht von der Notwendigkeit, das gemeinsame Priestertum aller Getauften für die Leitung in unserer Kirche neu zu entdecken und fordert ein verändertes Miteinander von Frauen und Männern in der Kirche.
Von der Pastoral der hörenden Herzen spricht Franz-Josef Bode, Osnabrück, und meint damit, die bedingungslose Offenheit der Kirche gegenüber den Höhen und Abgründen des Lebens der Menschen. Herausgefordert sieht er die Kirche insbesondere durch die Situation der wiederverheiratet Geschiedenen, die von der Kirche nicht länger allein gelassen werden dürfen.
Und Kardinal Marx, der Münchener Erzbischof, ergänzte diese Perspektiven um die gesellschaftliche und politische Verantwortung der Christen, indem er daran erinnerte, dass der Mensch nicht nur Verantwortung für sich selbst, sondern auch für den Mitmenschen und die Gesellschaft trägt.
Diesen Worten folgten mit Abschluss der Veranstaltung bekräftigende Zusagen seitens der Bischöfe. Der Trierer Bischof Stefan Ackermann benannte für die DBK drei Selbstverpflichtungen: Die Überarbeitung des kirchlichen Arbeitsrechtes hin auf individuelle Lösungen für die spezifische familiäre Situation der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die Sorge um die wiederverheiratet Geschiedenen und eine gezielte Frauenförderung, um Frauen in kirchlich verantwortliche Positionen zu bringen.
Zwischen diesen Positionierungen der Bischöfe lagen viele Tischgruppengespräche zur Rolle der Kirche in der pluralen Gesellschaft, zur Frage, warum die Kirche nicht nah genug an den Sorgen der Menschen zu sein scheint oder zu den Aktionsfeldern, in denen Kirche politisch präsent und wirksam sein soll. Die große Einigkeit, die sich hier in den meisten der Tischgruppen zeigte, führte einerseits zu einem erstaunlich großen Spektrum an Antworten, insbesondere für das Feld des diakonischen Handelns.
Sie reichten vom Aufbau von Kundschafterdiensten für soziale Not über sozial- und lebensraumorientierte Projekte bis hin zur Migrantenpastoral einer gastfreundlichen Gemeinde. Anderseits drohte die Fülle übereinstimmender Themen die im Raum stehenden kontroversen Fragen der wiederverheiratet Geschiedenen, der Frauenförderung, des kirchlichen Arbeitsrechtes, der Diakonat der Frau, aber auch der offenen Wunde donum vitae in den Hintergrund zu drängen und eine Harmonie vorzutäuschen, die es angesichts der Glaubwürdigkeitskrise der katholischen Kirche in unserer Gesellschaft so nicht gibt.
Als diese Unzufriedenheit im Plenum geäußert wurde, hielt es Bischof Bode nicht mehr auf seinem Stuhl. Er erklärte zur Überraschung vieler Teilnehmender, dass in der DBK die Gespräche zu verschiedenen der angesprochenen Themen seit Mannheim intensiv weitergeführt worden sei. War es dieser sichtbare Aufbruch eines Bischofs, der die Teilnehmenden am Gesprächsprozess in Hannover näher zusammenrücken ließ? Jedenfalls löste sich eine Spannung, die sich zuvor durch die Gespräche gezogen hatte.
Das Miteinander und die Mitverantwortung aller am gesellschaftlichen Auftrag der Kirche wurde deutlicher sichtbar - nicht nur in der Selbstverpflichtung der Bischöfe, sondern ebenso in den verschieden anderen Selbstverpflichtungen der Frauen und Männer aus den Verbänden, Pfarreien, Orden sowie der anderen Gruppen.
Die Weltverantwortung der Christen oder, wie es Bischof Bode sagte, die Präsenz der Kirche in den Wunden der Welt, ist die übergreifende Selbstverpflichtung aller Anwesenden in Hannover. Dazu gehören unumstößlich die Option für die der Armen und die Perspektive eines gerechten Friedens. Der Gesprächsprozess, dessen Anlage vielfach kritisiert wird, weil er weit hinter einem synodalen Prozess aus Würzburger Zeiten zurück zu bleiben scheint, entwickelt hier seine eigene Stärke. Vielen kritischen Beobachtern mag dies zu wenig sein.
Die Unmittelbarkeit der Begegnung, die Offenheit des Gesprächs, die Pluraltät der Teilnehmenden bietet Chancen zur Vergewisserung auf das Gemeinsame. Wenn nur ein Teil dessen umgesetzt werden kann, zu dem sich die Menschen in Hannover verpflichteten, kann die Kirche in Deutschland einen neuen Aufbruch beginnen. Vielleicht gelingt dies dann auch in die eigenen Reihen hinein, und bei der nächsten Etappe des Gesprächsprozesses können dann Vertreter der Initiative Wir sind Kirche mit am Tisch sitzen, die bislang den Prozess nur von außen beobachten konnten.
Die Bischöfe als Einladende haben in Hannover ein Zeichen des Aufbruchs gegeben. Das gibt dem weiteren Gesprächsprozess eine vertrauensvolle Grundlage und lässt Hoffnung auf ein weiterhin konstruktives Gespräch für das nächste Treffen am 13./14. September 2013 wachsen. Auch wenn der Ort noch nicht bekannt ist, an dem der Aufbruch von Hannover seine Fortsetzung finden soll, dürfte die Reise dorthin von Zuversicht statt Skepsis geprägt sein.